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Freude des Schenkens

© Dr. Friedrich Rost, Eberbacher Str. 2, D-14197 Berlin, Tel.: +49 (30) 822 83 61, e-mail: rostfu@zedat.fu-berlin.de


„Die Menschen verlernen das Schenken", konstatiert Adorno schon 1944 in seinen „Minima Moralia". Das gilt wohl noch mehr für die heutige Zeit, denn die Kluft zwischen der Idee des Schenkens und seiner Praxis scheint zu wachsen. Dafür zwei Beispiele: „Ich habe mir selbst zu Weihnachten eine Spülmaschine geschenkt!", höre ich im Kollegenkreis. – Versandhäuser mit Geschenkverpackungs-Service berichten zur Weihnachtszeit von Zuschriften einsamer Menschen, die sich eine Geschenksendung zuschicken lassen und sich über das Auswickeln der selbst bestellten Waren freuen. – Ist das Sich-Belohnen gleichfalls Schenken? Gehören bei aller Vielfalt der Aspekte nicht zumindest Geber, Geschenk und Empfänger zum Akt des Schenkens?

Werfen wir zuerst einen Blick auf die Geberseite: Schenken gilt als freiwilliger Akt zur Ehrung einer anderen Person. Unterschiedliche Auffassungen gibt es nicht nur hinsichtlich der Freiwilligkeit solcher Gesten. Mal ehrlich: Geht es uns nicht oft darum, eine lästige Pflicht schnell hinter uns zu bringen und dennoch bei dem zu Beschenkenden als großzügig, spendabel und selbstlos zu erscheinen? Wenn wir etwas länger darüber nachdenken, werden wir wohl eingestehen müssen, daß es uns als Gebern letztendlich auf Sympathie, Anerkennung und soziale Bindung oder gar auf das Verpflichten von anderen ankommt. Obwohl wir keine Garantie haben auf die erhoffte Gegenleistung, gibt es dank der Anstandsregeln eine ziemliche Gewißheit, daß sich unsere Investition lohnen wird.

Doch wer bekommt schon das geschenkt, was er sich insgeheim wünscht? Joel Waldfogel, Wirtschaftswissenschaftler der Wharton School (University of Pennsylvania), will errechnet haben, daß allein in den USA alljährlich 16 Milliarden Dollar Verlust dadurch entstehen, daß Geschenke die Geber mehr kosten als sie den Empfängern wert waren. Welch ein Aufwand an Gedanken und Zeit mit welch geringem Erfolg! Waldfogels Fazit: Geld ist das einzig vernünftige Geschenk, weil es keine Verluste gibt. Doch stellen Sie sich einmal vor, Sie verteilten rundum Ihre Schecks im privaten Bereich und im Büro gäbe es statt des üblichen Kalenders Bargeld!

Adorno hat darauf verwiesen, daß mit Phantasie für jeden etwas zu finden ist, was diesen durch und durch beglückt. Dazu braucht es der „Imagination des Glücks des Beschenkten" – und Zeit. Man muß andere aufmerksam beobachten, um das Richtige für sie zu finden.

Warum also schenken, wenn wir dabei ein hohes Risiko eingehen, jemanden zu enttäuschen oder selbst enttäuscht zu werden? Zumal es sich meist um Waren in einem Wert handelt, die sich fast jeder Erwachsene selbst leisten kann. Was sich der einzelne Akteur in den Konsumtempeln allerdings nicht kaufen kann, ist die soziale Wertschätzung, die dem Empfänger mit dem Geschenk übermittelt wird und die, wenn die Überraschung gelungen ist, als Freude und Dank auch dem Geber zuteil wird. Dem Psychologen Alfred Adler zufolge sind wir ewig auf der Suche nach Anerkennung, und die läßt sich mit dem richtigen Geschenk sogar wortlos übermitteln: Schenken bleibt die Kunst, andere und damit auch sich selbst zu erfreuen. Die Idee des Schenkens kann man erfahren durch geglückte Geschenke.

 

erschienen in: Frankfurter Rundschau, Nr. 295 vom 19.12.1998, S. 6

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