Schenken heute –
lästige Pflicht oder eine Kunst,
sich selbst und andere zu erfreuen?
©
Dr. Friedrich Rost, Eberbacher
Str. 2, D-14197 Berlin, Tel.: +49 (30) 822 83 61, e-mail: rostfu@zedat.fu-berlin.de
Inhalt
Überblick
OH-Folie
Nach einer kurzen Einleitung in das Thema und
seine wissenschaftliche Wiederentdeckung werde ich erst einmal das Phänomen
Schenken und einige seiner Besonderheiten genauer beschreiben. Anschließend
werden Sie eine Merkwürdigkeit des deutschen Schenkrechts kennenlernen, nach
dem es zwei Gruppen von Schenkungen gibt. Danach werde ich erklären, worin sich
das Schenken von anderen Formen des Gütertransfers unterscheidet. Und zum Schluß
werde ich in vier Thesen erläutern, warum der Mensch überhaupt schenkt –
vielleicht sogar schenken sollte.
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Einleitung:
Zwiespältige Gefühle vor dem Weihnachtsfest
"Alle Jahre wieder" und "nicht nur
zur Weihnachtszeit" schenken wir mehr oder weniger gerne, freuen uns selbst
über erhaltene Geschenke oder sind über die Gaben und die Geber enttäuscht. Für
Kinder jedenfalls sind Weihnachten, Geburtstag und andere Geschenktermine wie
Ostern oder Nikolaus Höhepunkte im Jahreslauf und in ihrem Leben. Ein ganz
besonderer Zauber geht für Kinder vom Weihnachtsfest aus und auch in den
Kindheitserinnerungen der Erwachsenen spielen die erhaltenen Geschenke, die
wunderbaren Weihnachtsüberraschungen eine große Rolle, aber auch die erlebten
Enttäuschungen.
Dagegen sind wir als Erwachsene gerade in der
Weihnachtszeit heftig im Streß, weil schon lange vor dem größten Festtag, der
bei uns gefeiert wird, die Vorbereitungen zu treffen sind, insbesondere das rechtzeitige
Besorgen, Verpacken und z. T. das noch zeitigere Versenden von Geschenken an
Verwandte, Freunde und Bekannte, die mit einem Präsent oder wenigstens mit
einem Weihnachtsgruß bedacht werden sollen oder gar bedacht werden müssen.
Obwohl uns allen Schenken eine vertraute Praxis ist, ist es, wie schon SENECA
feststellte, "keine leichte Sache und bereitet viel Schwierigkeiten."
Der heute mit dem Schenken oft empfundene Streß oder gar Überdruß hat m E.
mehrere Ursachen:
So spürt man z. B. im November / Dezember den
Widerspruch zwischen der angeblich so besinnlichen Advents- und Weihnachtszeit
und dem Termindruck, unter dem ja alle stehen, die Weihnachten mit Gabentausch
feiern – und nicht rechtzeitig mit den Einkäufen begonnen haben.
Außerdem ödet uns die Kommerzialisierung des
Festes an. Das "Weihnachtsgeschäft", Alt-68er sprachen vom
"Konsumterror", soll nach den Wünschen der Händler früher beginnen,
in der Hoffnung, daß die Kunden noch mehr Geld ausgeben. Unbehagen am
Geschenkerummel zu Weihnachten gibt es nicht nur bei uns. Nach einer Umfrage von
1991 üben auch die Briten daran Kritik: 59% kritisieren die Kommerzialisierung
des Weihnachtsfestes, 32% die hohen Geldausgaben, und 58% haben das Gefühl,
zuviel Geld für Weihnachtsgeschenke auszugeben. In der Bundesrepublik
Deutschland betrug der Weihnachtsumsatz 27,3 Mrd. DM.[1]
Immer häufiger höre ich Klagen darüber, daß
der Kreis der zu Beschenkenden ausufere. Es müßten "Leute" bedacht
werden, die man eigentlich gar nicht beschenken möchte. Andere jammern, daß
das Schenken an sich überhand nehme, nicht nur zu Weihnachten, und die
Erwartungen hinsichtlich des Geschenks immer größer würden. Kurz: Der Aufwand
an Geld und Zeit für den Geschenkverkehr nehme zu. Zudem gebietet die Sitte, daß
heutzutage jeder zu Bedenkende ein individuell gewähltes Geschenk erhalten
soll, und das macht die Sache besonders anstrengend: Was soll ich Onkel Emil
schenken, der doch eh alles hat und sich sowieso nicht freut? Und was denn all
den anderen?
In etlichen Beziehungen wird darüber verhandelt
oder ist es bereits beschlossen, gegenseitig auf Geschenke zu verzichten. Solche
Abmachungen halten nicht alle durch, was wiederum Schwierigkeiten bei den dann
doch Beschenkten hervorruft, die auf die getroffene Vereinbarung vertrauten und
kein Geschenk besorgt haben. – Wiederum andere wollen verstaubte Festsitten
bewußt ignorieren und lieber "zwischendurch" liebe Menschen mit einem
Geschenk "überraschen", also Fest und Geschenk entkoppeln.
Ich hoffe nicht, daß Sie sich von mir
Geschenktips für Tante Frieda erwarten. Mein Vortrag will Ihnen in der Kürze
der Zeit Ergebnisse der Schenkforschung darlegen, die Ihnen als Kenntnisse höchstens
indirekt nützlich sein können bei Ihrer Schenkpraxis.
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Schenken
als Thema der Wissenschaft?
Schenken schien lange Zeit kein Thema für
die Wissenschaft zu sein: Nach dem berühmten Essay "Die Gabe" des
Soziologen Marcel MAUSS [2]
von 1922/1923, das sich mit der Gabe in "archaischen" Gesellschaften
beschäftigte, und einem 1960 erschienenen Buch über die "Schenkende
Wirtschaft" des Ökonomen Bernhard LAUM [3]
fristete das Thema überwiegend in volkskundlichen Studien über den Geburtstag
bzw. Weihnachten eine Nebenrolle, bis einige kleinere empirische Studien über
das tatsächliche Schenkverhalten in westlichen Industriegesellschaften
vorlagen.[4]
Angeregt durch diese Ergebnisse und eine Soziologie, die nach ihren großen
Themen nunmehr die kleinen privaten Nischen ausleuchtet, gibt es seit 1990 fünf
deutschsprachige wissenschaftliche Monographien zum Schenken.(s. OH-Folie
Literaturangaben)
Geben und Schenken sind als Gegenstände der
Wissenschaft wiederentdeckt.
Das Phänomen
Schenken
Nähern wir uns dem Schenken mit
verallgemeinernden Beschreibungen: Klassisches Modell der Theoriebildung zum
Schenken ist die sogenannte Handschenkung. Ein Mensch überreicht einem anderen
einen Gegenstand als Geschenk. Doch gibt es in der Praxis, wie die empirische
Schenkforschung feststellte, auch in den westlichen Industriegesellschaften eine
Vielzahl von kollektiven Gebern (45%) und gemeinsamen Empfängern (21%), und oft
wird zu einem Anlaß mehr als nur eine Sache geschenkt oder gesandt (zu
Weihnachten in mehr als 57% der Fälle).[5]
Die Beispiele zu diesen statistischen Daten sind Ihnen geläufig: Eltern als
Paar beschenken ihr Kind zum Geburtstag mit mehreren Geschenken, Ehepaare
bringen einen Strauß und/oder ein anderes Geschenk mit als Dank für die
Einladung bei einem befreundeten Pärchen, die Kolleginnen haben zusammengelegt
und einen riesengroßen, lautstarken Wecker erstanden für den ewig zu spät
kommenden Kollegen, das Brautpaar nimmt anläßlich seiner Hochzeit die fünfte
Kaffeemaschine für seinen Hausstand entgegen.
Schenken ist demnach noch mehr soziales
Handeln als es in dem Modell der individuellen Handschenkung modelliert
wird. Darum ist es von besonderem soziologischem Interesse. Geber wie Empfänger
können Individuen, Paare oder Gruppen sein. Insofern unterscheidet sich unser
Schenken empirisch nicht sonderlich von den Prozessen, die in
"archaischen" Gesellschaften ablaufen.
Schenken erfolgt in den seltensten Fällen völlig
spontan durch den Geber. Wohl kann es eine Überraschung für den Empfänger
sein. Aus Sicht des Gebers müssen jedoch meistens Vorbereitungen getroffen
werden, damit ein oder mehrere Geschenke überreicht werden können.
s. OH-Folie
"Die Vorbereitungen des Schenkens"
In den allermeisten Fällen naht ein Anlaß, zu
dem für jemanden Bestimmtes nach Sitte und Brauch ein Geschenk fällig ist. Man
schenkt i. d. R. nicht alltäglich, sondern zu bestimmten Anlässen, und auch
nicht jedem, sondern ganz bestimmten Menschen. Das müssen nicht unbedingt
diejenigen sein, die einem wirklich nahestehen. Nach Anstand und Sitte gibt es
bestimmte Personen, die man zu bestimmten Gelegenheiten bedenken muß, und dann
gibt es weniger starke Zwänge und Verpflichtungen bis hin zur völligen
Freiwilligkeit.
Die spätere Geberin, denn meist sind es die
Frauen, denen diese Arbeit in den Familien obliegt, überlegt und sammelt
verschiedene Geschenkideen, von denen dann eine oder mehrere umgesetzt werden,
indem entsprechende Gegenstände für den Zweck der Schenkung angefertigt oder
erworben werden.
Selbstgefertigtes macht in den USA lediglich 2 %
aller Geschenke aus. Bei uns gibt es reichlich Anregungen für
Selbstangefertigtes in Zeitschriften und Büchern und eine kleinere
Sample-Umfrage vom Allensbacher demoskopischen Institut aus dem Jahr 1992
berichtet, daß in 15% der Haushalte auch Selbstverfertigtes verschenkt wird. [6]
Doch die allermeisten Geschenke sind
gekaufte Waren, die durch Entfernen des Preisschildes und Einwickeln in
sogenanntes Geschenkpapier zu Geschenken transformiert werden. Also muß das
Geschenk entweder im Laden oder zuhause möglichst attraktiv drapiert werden.
Und wenn es wegen größerer Entfernungen nicht persönlich überreicht werden
kann, muß es auch noch bruchfest verpackt werden, damit es wohlbehalten und vor
allem rechtzeitig den Empfänger erreicht.
Sie sehen, welcher Aufwand an Gedanken,
Fahrereien, Laufereien und Geld, letztlich also insgesamt Lebenszeit
erforderlich ist, bevor geschenkt werden kann.
Betrachten wir nun einmal den Vorgang der Übergabe
aus der Perspektive des ins Auge gefaßten Empfängers: Aus der Situation
heraus, aus der meist ritualisierten Form der Darbietung und den begleitenden
freundlichen Worten entnimmt der mögliche Empfänger, daß ein anderer ihm
etwas überreichen möchte und daß es sich dabei um ein Geschenk handeln soll.
Hat der Empfänger an dem Tag Geburtstag, so wird
er nicht überrascht sein, wenn ein ihm nahestehender Mensch ihm etwas
schenken will. Nach Ergebnissen der empirischen Schenkforschung werden 96 %
aller Geschenke zu einem institutionalisierten Anlaß wie Geburtstag oder
Weihnachten gegeben.
Anders sieht die Sache aus, wenn – vielleicht
trotz Geburtstag – der prospektive Empfänger als Beamter über öffentliche
Bauaufträge mitzuentscheiden hat, der Geber Bauunternehmer und die Gabe ein mit
Geldscheinen gefüllter Briefumschlag ist.
Ich will jetzt nicht noch das Thema Bestechung
behandeln, sondern damit nur deutlich machen: Je nachdem, um welchen Anlaß, um
welche Situation und welchen Geber es sich handelt, hat der Adressat
blitzschnell zu entscheiden, ob er annehmen darf. Beziehungsweise ob und wie er
das Angebot zurückweist. In vielen Fällen des zu Festtagen
institutionalisierten Schenkens besteht eine ungeschriebene, jedoch starke
Verpflichtung zur Annahme, zumindest von nahestehenden Gebern. Es sei denn, man
ist öffentlicher Amtsträger.
Betrachten wir nun die Aktion der Übergabe
genauer:
s. Abbildung
1 "Die Aktion des Schenkens"
Der äußere Rahmen, festliche Kleidung,
eventuelle Anwesenheit von anderen, Einsatz von Symbolen wie der
Geburtstagskerze, dem sog. Lebenslicht, oder des Weihnachtsbaumes, dieser äußere
Rahmen gilt nur beim institutionalisierten Schenken.
Das für den Empfänger überraschende Schenken
sowie das spontane Schenken, das selbst für den Geber aus einem plötzlichen
Impuls erfolgt, sind zwar häufig in der Übergabe selbst auch ritualisiert.
Doch beide, wesentlich selteneren Fälle, sind variantenreicher als das
institutionalisierte Schenken, das – wie gesagt – 96 % aller Fälle
ausmacht.
Zur Kunst des Gebens gehört bei uns, das
Geschenk mit einigen liebenswürdigen Worten und mit freundlicher Miene zu übergeben,
wobei man das zu überreichende Geschenk nicht etwa hervorhebt, sondern
vielleicht der Hoffnung Ausdruck verleiht, daß es gefallen möge. Daraufhin
nimmt es der Beschenkte entgegen und dankt für das Geschenk.
Auf die Häufigkeit der kollektiven Handschenkung
ist schon hingewiesen worden. Ein Sonderfall, der in der Abbildung
1 nicht aufgeführt ist und besonders für
Weihnachten Bedeutung hat, ist der Weihnachtsmann oder das Christkind als
Gabenbringer für die Kleinen. Sie stehen für den inszenierten Geschenkvorgang,
der auf das religiöse Schenken verweist. Obwohl andere die wahren Geber sind,
wird so getan, als ob eine Himmelsmacht uns über Christkind oder Weihnachtsmann
beschert, damit wir die Güte des Herrn erkennen, der uns seinen Sohn geschickt
hat.
Oder die Erwachsenen erzählen die Geschichte, daß
er oder es die Gaben heimlich gebracht und in einem Sack abgestellt oder unter
dem Weihnachtsbaum abgelegt hat. Letzteres ist sicherlich eine Sonderform des
sog. "Gabentisches", der auch zum Geburtstag eine Rolle spielt: Die
Geschenke liegen meist eingewickelt und hübsch arrangiert an einem dafür
geeigneten Ort. Die tatsächlichen Geber bleiben anonym oder werden schriftlich
oder mündlich angegeben.
Bei großen Festen wie Hochzeiten müssen die
Geschenke nicht sofort ausgewickelt werden, um so wichtiger ist ein am Geschenk
befestigter Geschenkanhänger, auf dem der Name des oder der Geber steht. Diese
Sitte ist auch ein Zeichen dafür, wie eng das Geschenk und die Person des
Gebers miteinander verknüpft sind. Wird beispielsweise anläßlich einer
Hochzeit für ein großes Geschenk wie eine Waschmaschine zusammengelegt, so
geben etliche Geber noch ein kleines anderes Geschenk, um persönlich etwas überreicht
zu haben.
Wird ausgewickelt, kommt der Moment der Spannung,
falls das Geschenk nicht schon bekannt ist. Geschenke sollen im Beisein des
Schenkers ausgewickelt und betrachtet werden.
Und nun kommt ein heikler Punkt: Das Problem des
Sich-Freuens und des Annehmens von Geschenken, die nicht dem eigenen Geschmack
entsprechen. Inwieweit darf man ehrlich sein oder muß sich verstellen? Klare
Antwort der Ratgeberliteratur: "Das Empfangen von Geschenken erfordert
ebensolches Feingefühl wie das Geben. Manche Menschen können sich über jede
kleine Aufmerksamkeit, die ihnen beschert wird, freuen. Ihnen fällt es nicht
schwer, diese Freude auch zu bekunden. ... Selbst wenn man ein unerwünschtes
oder geschmackloses Geschenk bekommen hat, muß man gute Miene zum Spiel machen
und sich so freundlich als möglich bedanken. Es gibt Menschen, die mit keinem
Geschenk zufrieden sind. ... Sie verhehlen es gar nicht und verstimmen damit natürlich
den Geber." [7]
Ebensowenig wie man die Enttäuschung zeigen oder
gar entsetzt reagieren sollte, darf man als Beschenkter, sofern andere Geber
anwesend sind, einzelne Geschenke hervorheben. Jede Gabe will gewürdigt sein
und ist sie noch so klein oder unpassend. Die Gaben werden nach ihrer Würdigung
durch den Beschenkten und einem 2. Dank an den jeweiligen Geber auf dem
Gabentisch präsentiert und nicht etwa achtlos beiseite gelegt.
Es gehört demnach einiger Takt dazu, solche
Situationen sowohl als Geber wie als Empfänger zu meistern, zumal es einige
Sonderfälle gibt.
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Sonderfälle
des Schenkens s.
OH-Folie
"Sonderfälle"
Gefällt das Geschenk überhaupt nicht oder ist
es schon vorhanden, sollte der Geber anbieten, daß er es umtauscht. Der
Umtausch ist zwar eine weitere Erschwernis, dennoch sollte er möglichst bald
erfolgen, um das Geschenk nachzureichen.
Letzteres gilt ebenso für die Einlösung des
Geschenkgutscheins, der aus vielerlei Gründen ausgestellt werden kann. Man kann
ihn selbst herstellen oder mittlerweile auch kaufen.
Geld selbst zu schenken, obwohl es die größtmögliche
Wahlfreiheit des Beschenkten bedeutet, ist nach der Ratgeberliteratur immer noch
mit erheblichen Vorurteilen belastet. Den Gebern Lieb- und Phantasielosigkeit
unterstellend, sind Geldgeschenke nur in besonderen Ausnahmefällen erlaubt, und
zwar intergenerationell bzw. hierarchisch abwärts. Das heißt, die nicht mehr
ganz rüstige Oma darf ihrem Enkelkind durchaus Geld schenken, u. U. auch Eltern
ihren erwachsenen Kindern. Eine Umkehrung des Geldschenkens könnte die Eltern
bzw. Großeltern u. U. beschämen, so z. B. wenn diese wirklich auf materielle
Unterstützung angewiesen sind. Postboten, Hausmeister, Hausangestellte wurden
und werden zu Weihnachten / Neujahr auch eher mit Geld beschenkt zum Dank für
die geleisteten Dienste. Mit der Geldgabe will man möglicherweise auch bewußt
Distanz wahren, denn ein persönlicheres Geschenk würde vielleicht eine engere
Bindung schaffen, die wahrscheinlich gar nicht erwünscht ist. – Mittlerweile
gibt es nicht nur Bücher, wie man Geschenke beeindruckend verpackt, sondern
auch Bastelbücher speziell für die originelle Verpackung von Geldgeschenken.
Ein weiterer Sonderfall ist der altbekannte
Wunschzettel, den Kinder zu Weihnachten schreiben und dessen moderne Variante
der Geschenkeliste, die vorwiegend für Hochzeiten angefertigt werden. Damit das
Brautpaar auch das erhält, was es gebrauchen kann und ihm gefällt, stellt es
oder nahestehende Personen ein Album zusammen mit Abbildungen der Gegenstände,
die dem Brautpaar zusagen würden. Eingeladene entnehmen den Geschenktip, den
sie realisieren wollen.
Kommen wir nun zu dem größten anzunehmenden
Geschenkunfall: Der prospektive Empfänger nimmt die Gabe von A* nicht an.
"Die Ablehnung eines Geschenkes erfordert sehr feines Taktgefühl. Alles im
Leben, und nicht zuletzt Freigebigkeit, beruht im gewissen Maße auf
Gegenseitigkeit. Daher muß man sich nach Annahme eines oder mehrerer
Geschenke bei Gelegenheit erkenntlich zeigen. Wenn man nun nicht in die
Schuld des andern geraten möchte und ... nicht durch eine unverhüllte
Ablehnung kränken will, heißt es, einen guten Grund [für die] höfliche Zurückweisung
des Geschenkes zu finden." [8]
Man sollte einerseits die Absicht anerkennen, auf
der anderen Seite aber einen triftigen Grund nennen, warum man
bedauerlicherweise das Geschenk nicht annehmen könne. Doch definitiv abzulehnen
wird vom Geber als Zurückweisung seiner Person interpretiert. So gibt es der
Ratgeberliteratur zufolge nur für Damen statthafte Gründe, Geschenke
abzulehnen, insbesondere ganz bestimmte Geschenke: Damen und solche, die es
werden wollen, sollten nur Blumen, Süßigkeiten oder ein Buch von Herren
annehmen, auf keinen Fall Dessous, echten Schmuck oder pfui! – Geld: – Es
sei denn, man wäre mit dem Herrn schon verheiratet.
Geschenke können also in Schwierigkeiten
bringen, weil der Herr Gegenleistungen erwarten könnte und sei es ein Kuß oder
mehr. Die Art des Geschenks ist – wie aus dem Beispiel deutlich wird
– in hohem Maße kulturell mitbestimmt, insbesondere für die Phase der Annäherung
eines Mannes an eine Frau: Dessous sind zu intim, Schmuck zu wertvoll und Geld
nehmen bestimmte Frauen, die keine Damen sind.
Macht sich der Herr vergebens Hoffnungen, so soll
ihm dies schonend und indirekt, eben "durch die Blume" mitgeteilt
werden. Antipathie gegen den Geber, es sei denn, er will eine nichtwillkommene
Liebeserklärung abgeben oder gar einen Antrag machen, reicht im übrigen nach
der Vorstellung der Anstandsautorinnen für die Ablehnung von Geschenken nicht
aus. Man müsse schon triftigere Gründe haben. Welche das sein könnten, wird
nicht ausgeführt. Insofern sollten Beamte und Angestellte des öffentlichen
Dienstes für die sie betreffenden dienstlichen Vorschriften zur Geschenkannahme
ausgesprochen dankbar sein. Denn die Annahme von Geschenken ist nicht nur im öffentlichen
Dienst gefährlich, denken Sie an die Vorwürfe gegen Manager der Industrie, die
sich in den Augen der Öffentlichkeit damit angreifbar machten.
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Die
rechtliche Normierung des Schenkens
Schauen wir uns nun doch einmal an, wie das
Schenken in den Gesetzbüchern normiert ist.
s. OH-Folie
"Schenkung nach BGB"
Wenngleich nach den Paragraphen des Bürgerlichen
Gesetzbuches für den Akt der Schenkung nicht einmal Dank erforderlich ist,
sondern nur die Annahme des Geschenks, so fordert die Etikette doch zumindest
Dank an den Geber für seine Tat und Gabe. Auf der anderen Seite unterscheidet
das BGB zwischen Schenkung (§ 516 BGB) und den sogenannten Pflicht- und
Anstandsschenkungen (§ 534 BGB), für die unterschiedliche Normen gelten. So
kann – entgegen der Auffassung des Sprichwortes "Geschenkt ist
geschenkt" – das verschenkte Haus bei gröblichem Undank des Beschenkten
gegen seinen Wohltäter ebenso zurückgewonnen werden. Ebenso wie in dem Fall,
daß der Schenker unverschuldet in Not geraten ist. Obwohl bei solch einer
Schenkung sofort ein Besitzwechsel erfolgt, ist der Eigentumswechsel erst nach
10 Jahren wirklich vollzogen. Wegen Pietätlosigkeit kann eine Schenkung
lebenslang angefochten werden. Das ist anders bei den Pflicht- und
Anstandsschenkungen nach § 534:
Die sittliche Pflicht zu einem Geschenk
– so die gleichlautenden Kommentare zum BGB – erwächst aus den Umständen
des Einzelfalls, wobei die persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und
Beschenktem sowie ihre Vermögen und ihre Lebensstellung einzubeziehen sind. Die
Anstandspflicht gebietet es, zu den gebräuchlichen Anlässen ein
Geschenk zu geben, wobei überraschenderweise nicht die Ansichten und
Gepflogenheiten des Verwandten- und Bekanntenkreises des Schenkers maßgeblich
sind, sondern die der beruflich Gleichgestellten. Diese Kommentierungen des BGBs
zeigen zum einen, daß Schenken keine rein private Anlegenheit ist, sondern auch
eine öffentliche, zum zweiten, daß Rang, Status und Vermögen eine Rolle beim
Schenken spielen und zum dritten, daß Nichtschenken Achtungsverlust nicht nur
des Nichtgebers zur Folge hat, sondern auf den gesamten Stand zurückfällt. Das
BGB ist über 100 Jahre alt und scheint hier reichlich antiquiert.
Gesellschaftlich scheint Schenken jedoch wichtig zu sein, denn Sozialhilfeempfänger
können auf Antrag Geschenkzulage erhalten, damit sie keinen Achtungsverlust
erleiden, z. B. bei ihren Kindern. Ein Gesetz aus den 70er Jahren dieses
Jahrhunderts orientiert sich demnach an den Auffassungen des BGBs.
Ein Geschenk nach § 534 geht durch den Akt der
Schenkung übrigens sofort und vollständig in das Eigentum des anderen über
und ist auch nicht zurückzugewinnen. Hier gilt tatsächlich das
Kindersprichwort: "Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist
gestohlen." – Bis auf einen weiteren Sonderfall: die Auflösung einer
Verlobung, nicht etwa die Ehescheidung. Da spielen sicher noch magische Elemente
eine Rolle und die Bedeutung der Liebesgabe als Unterpfand für die versprochene
Ehe: Sämtliche Geschenke innerhalb der Verlobungszeit können zurückgefordert
werden. Nicht jedoch solche der Ehe, das umfasst auch die während der möglichen
Verlobungszeit, denn die Ehe wurde ja geschlossen. Doch damit können sich
einige nicht abfinden. Bei Prozessen zur Ehescheidung entbrennt manchmal Streit
um wertvolle Geschenke, um einen Pelzmantel oder einen Porsche, wenn die Klägerseite
der Auffassung ist, daß diese Geschenke den Rahmen normaler Geschenke nach §
534 überstiegen haben, was vom Vermögen und sonstigen Lebensstil des Paares
abhängig gemacht wird. Dann haben die Gerichte zu klären, ob Schenkung nach §
516 in Betracht kommt und wenn ja, ob sich der Beschenkte gröblich undankbar
gegen den Schenker erwiesen hat. Nur dann ist der Porsche zurückzugewinnen.
Ich fasse diesen Teil kurz zusammen:
Beim Schenken handelt es sich juristisch um eine
Sonderform des Transfers materieller Güter zwischen Individuen und / oder
Gruppen. Eine Schenkung ist eine freiwillige Leistung, die unentgeltlich
erfolgt, für die also rein rechtlich keine Gegenleistung erbracht werden muß.
Doch das Bürgerliche Gesetzbuch kennt auch die Pflicht- und Anstandsschenkung
nach § 534, die keine völlige Freiwilligkeit beinhaltet. Diese Sonderheit hat
historische Gründe, die ich in meiner Dissertation [9]
näher ausgeführt habe in einer Unterscheidung des religiösen Schenkens,
dessen Ursprung in den großen Schenkungen an die Kirche und damit im Opfer zu
suchen ist, und des weltlichen Gabentauschs, den auch die Heiden kannten.
Insofern praktizieren wir meist heidnischen Gabentausch.
Wenngleich die Schenkung nach § 516 in den
meisten Fällen nicht mit einer Gegenschenkung beantwortet werden kann –
derjenige, der ein Haus geschenkt bekommt, hat meist nicht die Mittel, die
Schenkung adäquat zu erwidern – und auch kein Dank erforderlich ist, darf
sich der Beschenkte seinem Wohltäter gegenüber doch nicht gröblich undankbar
erweisen. Dagegen fordert die Gabe der Pflicht- und Anstandsschenkung insgeheim
nach den Sitten und Gebräuchen bis heute zu einer Gegengabe auf, was ja mit den
Wortteilen "Pflicht- und Anstand" deutlich signalisiert wird.
So gelten in gewisser Weise für beide
Schenkungsarten die Sprichwörter: "Geschenke binden die Gelenke"
oder: "Wer gaben nimpt, der ist nicht frey." Und so entstehen mit dem
ersten Geschenk oft lästige Bindungen und Verpflichtungen, denen man dann,
selbst nach einem Gegengeschenk, nicht so leicht wieder entgehen kann.
Wir haben es mit einer paradoxen Situation zu
tun. Von der Definition her ist ein Geschenk eine Leistung, die freiwillig und
unentgeltlich gegeben wird, also nicht mit einer Gegenleistung vergolten werden
muß. Aber das scheint nicht zu stimmen, da die Gegenleistung für die meisten
Anlässe nahezu obligatorisch zu sein scheint. – Um dies genauer zu
untersuchen, bedürfte es einer Betrachtung der kulturgeschichtlichen Ursprünge
des Schenkens im Nahrungs- und Liebesgeschenk, im Opfer und im Gabentausch des
Festes sowie seines Ursprungs in der Gastfreundschaft. Dabei kann man zwei
Klassen von Gaben unterscheiden:
- eine Klasse von Gaben, die zur Erwiderung
verpflichteten, also auf Gegenseitigkeit angelegt sind,
- und eine solche, die nicht verpflichtete.
Die Annahme von Geschenken verpflichtet in vielen
Kulturen zur Gegenleistung. Trink- und Nahrungsgeschenke der Gastfreundschaft
verpflichteten zu nichts, auch nicht zu einer Gegeneinladung. Eine genauere
Darstellung würde einen eigenen Vortrag brauchen. Deshalb wende ich mich nun
der Frage zu:
Worin unterscheidet sich denn nun das
Schenken als Transfersonderform von anderen Formen der Gütertransaktionen wie
dem Kaufen?
Die
Besonderheiten des Schenkens als Gütertransaktion
Die Antwort auf diese Frage findet sich bei
Bernhard LAUM: Dem Geben beim Schenken wohnt eine Tendenz inne zur Großzügigkeit,
zur Nichtaufrechnung von Leistung und durchaus möglicher Gegenleistung. Anders
als auf dem Markt, wo Käufer und Verkäufer den eigenen Vorteil suchen, ist
Rechenhaftigkeit beim Schenken verpönt. Doch wie soll man
"nichtaufrechnende Großzügigkeit" und "besonderes
Wohlwollen" dem Empfänger gegenüber signalisieren? Am einfachsten ist
dies, indem man bei der Größe oder dem Wert der Gegengabe ein klein wenig,
aber merklich zulegt, – also doch die Beziehung und ein mögliches Vorgeschenk
taxiert. [10]
Denn unser Aufwand bei den Überlegungen und dem Einkauf des Geschenks sind der
Gabe nicht immer anzusehen und die besonderen Anstrengungen bei der Realisierung
der Geschenkidee später dem Beschenkten zu schildern, gilt bei uns als
unschicklich. Zugleich hält diese Tendenz zur Großzügigkeit das Spiel für
einen weiteren Zyklus aufrecht, wenn man davon ausgeht, daß Geschenke u. U. in
angemessenem zeitlichen Abstand durchaus mit Gegengeschenken beantwortet werden.
Würde dagegen jemand die Vase, die er selbst
geschenkt erhielt, dem ehemaligen Geber zurückschenken, also das genaue Äquivalent
dessen, was der andere gab, käme es in unserem Kulturkreis mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit zu einer Verstimmung zwischen den Parteien, obwohl dies in anderen
Kulturen durchaus zu bestimmten Anlässen Praxis ist. Bei uns ist dies ein
Regelverstoß in zweierlei Hinsicht: Zum ersten, weil die Bedeutung der
Beziehung über Großzügigkeit symbolisch ausgedrückt werden sollte, was in
diesem Fall nicht berücksichtigt wird; vor allem und damit zum zweiten, weil
die Etikette heutzutage vorschreibt, keine Sachen weiterzuschenken, die man
selbst als Geschenk erhielt – und vielleicht nicht leiden kann. "Man
kennt sie, diese Bumerangs unter den Geschenken, die wie der Fliegende Holländer
durch die Meere der Verwandtschaft und Bekanntschaft irren ... bis sie irgendwie
‘kaputtgehen’"[11],
so beginnt der entsprechende Absatz im "1 x 1 des guten Tons" von
Gertrud OHEIM zum Thema Weiterschenken, das sie kategorisch ablehnt. Doch das
Weiterverschenken war nicht immer verpönt: Nicht nur in der Ilias, sondern auch
in schriftlichen Quellen des Mittelalters wird berichtet vom Verschenken von
Schwertern, goldenen Bechern und gebrauchter Kleidung mit ausdrücklicher
Nennung der ehemaligen Besitzer. Ihr magischer und damit besonderer Wert hängt
geradezu von den Vorbesitzern ab. Und wenn es sich um eine wertvolle oder
originelle Antiquität handelt oder ein "Erbstück", das gefällt,
relativieren sich für meinen Geschmack auch die Ausführungen der
Ratgeberliteratur zum Thema gebrauchte Gegenstände und Weiterschenken.
Die Enttäuschung des Gebers, wenn er davon erfährt,
daß seine Gabe weiterverschenkt oder gar auf dem Trödelmarkt für einen
Bruchteil des Preises weiterverkauft wird, ist vielleicht angesichts des
eingangs geschilderten Aufwandes an Vorbereitungen verständlich. Es ist
vielleicht auch das Gefühl, daß das Geschenk keinen Platz im Herzen des
Beschenkten gefunden hat. Und möglicherweise auch noch ein Rest aus den Zeiten,
in denen das Geschenk ein Teil von einem selbst war, das einen verband mit einem
anderen Menschen, der das Geschenk erhielt. Gegenstand und Wissen um dieses
Geschenk verbanden zwei Menschen, Paare oder Gruppen. – Sind wir manchmal so
gegen das Schenken eingestellt, weil wir uns nicht binden oder keine
Gegenleistungen erbringen wollen?
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Warum
schenken wir eigentlich?
Eine Funktion ist eben deutlich geworden: Wer
schenkt, will binden. Darüber hinaus gibt es einige Erklärungsansätze und
Theoriestücke, von denen ich Ihnen die wichtigsten thesenartig vorstellen möchte:
Thesen
s.
OH-Folie
1. Schenken ist eine stammesgeschichtlich
sehr alte, elementare Verhaltensform, die sich nach Meinung der Soziobiologen
aus dem Partnerwerbeverhalten und dem Brutpflegeverhalten entwickelt hat.
EIBL-EIBESFELDT hat in verschiedenen Kulturen
elementare Verhaltensweisen studiert und in zahlreichen Veröffentlichungen darüber
berichtet, z. B. in seinem Buch "Liebe und Haß". Nach seiner
Auffassung verfügt jeder Mensch über aggressive Tendenzen, während sich die Fähigkeit,
ein soziales Band zu stiften über die Brutpflege der Bezugspersonen und die
Liebe des Kindes zu seiner Mutter entwickelt. "Der Mensch ist ursprünglich
für ein Leben in individualisierten Verbänden geschaffen. Beim Übergang zum
Leben in der anonymen Gemeinschaft ergeben sich Identifikationsschwierigkeiten.
Einerseits besteht offensichtlich der Drang, auch zu Fremden ein Band zu
stiften. Andererseits beobachten wir die Neigung, sich in Gruppen von anderen
abzuschließen. ... Fremden gegenüber fühlt sich der Mensch stets weniger
verbunden und damit auch weniger aggressionsgehemmt." Bindung an Menschen,
aber auch an Bindungen an Objekte seien fundamentale Voraussetzungen für
"jene Liebe und Sicherheit, in der das Urvertrauen zu Mitmenschen wächst."
– so EIBL-EIBESFELDT [12]
.
Freiwilliges Geben, Teilen, Schenken wirken
demnach aggressionshemmend und stabilisieren Beziehungen. Diese kulturell
gewonnene Erfahrung vieler Gesellschaften wird an die jüngere Generation
weitergegeben, ist also Teil von Erziehung und Sozialisation. Nicht von ungefähr
singen die Mütter der Yualayi den Kleinkindern ein Schlummerlied, das ihnen
Gebefreudigkeit und Herzengüte einprägen soll, warnt der sterbende Massai
seine Kinder vor Geiz, mahnt der Papua seine Söhne während der Beschneidung,
sie sollten freigebig und gastfreundlich sein. Die Vielzahl der Vorschriften,
von denen ich nur drei dem Buch von LAUM [13]
entnommen habe, läßt einerseits erahnen, wie wichtig es den Älteren ist,
diese kulturell positiv bewerteten Erfahrungen weiterzugeben, doch andererseits
vielleicht auch, daß es uns doch nicht so leicht fällt, zu geben, zu teilen,
zu schenken.
Der Anthropologe und Soziologe LÉVI-STRAUSS [14]
vertrat überzeugend die These, daß Verwandtschaft, d. h. größere
gesellschaftliche Einheiten erst durch das kulturelle Gebot entstanden ist,
Frauen nicht für die eigene Gruppe zu behalten, sondern Männern einer anderen
Gruppe zu geben. Frauen waren die kostbaren Geschenke, die Männer sich
untereinander machten, bevor Frauen selbst mit Geschenken umworben wurden.
2. Nach Auffassung der Kinderpsychologie
ist es ein bedeutender Entwicklungsschritt des etwa fünfjährigen Kindes,
Dinge, die es eigentlich ganz allein besitzen will, mit anderen zu teilen oder
gar zu verschenken.
Nach Susan ISAAC ist die Fähigkeit, sich zu
gedulden und eigenen Besitz anderen zeitweise oder für immer zu überlassen,
ein Entwicklungsschritt, der aus dem Erlebnis von Gegenseitigkeit entsteht und
durch den Identifizierungsprozeß. Zu den schönsten Erfahrungen von Kindern gehöre
es, ein Geschenk zu erhalten. Die dadurch ausgelöste Dankbarkeit empfindet das
Kind sowohl aufgrund der Handlung als auch aufgrund des Geschenks. Vom Wert der
Gabe völlig abgelöst, ist das Geschenk ein Anzeichen dafür, daß der Geber
einen liebt und dementsprechend nicht haßt; zugleich aber auch dafür, daß man
selbst ohne Feindschaft und Haß, sondern voller Liebe ist.
Aufgrund der kindlichen Abhängigkeit von den
Erwachsenen wird beispielsweise das Übergangenwerden beim Austeilen von Gaben
oder das Etwas-später-an-der-Reihe-Sein mit den Gefühlen der Hilflosigkeit und
Ohnmacht erlebt sowie der Befürchtung, möglicherweise zu kurz zu kommen oder
vergessen zu werden. Wenn man dagegen – Zitat ISAAC [15]
– selbst etwas "zu verschenken hat, ist man ... nicht mehr das hilflose
greinende Kind, ausschließlich von den Geschenken der anderen abhängig und
durch ... Ängste zu Wutanfällen und Eifersüchteleien getrieben ... Geben ist
ein viel größerer Segen als nehmen, denn in der Lage zu sein zu geben, heißt,
nicht selbst Not zu leiden’."
3. Knappheit
als anthropologische Grundtatsache und menschliches Unzulänglichkeitsgefühl
führen zu einem Bedürfnis nach Anerkennung.
Schon frühzeitig erleben Kinder und Jugendliche,
daß andere mehr haben und daß man nicht alles haben kann. Dabei fallen
Knappheiten individuell verschieden aus und werden unterschiedlich erlebt und
verarbeitet. Ein Kind ist ja eine lange Zeit auf Unterstützung und Schutz
angewiesen und erfährt nach Ansicht Alfred ADLERs – im Vergleich mit den
Erwachsenen – seine Hilflosigkeit und Unzulänglichheit. ADLER entdeckte
jedoch, daß dieses Problem tendenziell bei jedem Erwachsenen weiterbesteht.
Balint BALLA, ein Soziologe, hat ADLERs Konzept
des Minderwertigkeitsgefühls erweitert: Es lasse sich ganz generell
feststellen, Zitat BALLA [16]
"daß anthropologische Unzulänglichkeit so gut wie alle Menschen
betrifft. […] Minderwertigkeiten sind nicht nur ein allgemeiner
Ausgangspunkt für spezifische Ausprägungen von Knappheit, sondern beeinträchtigen
in der Regel das menschliche Handeln ganz konkret auch bei der Beschaffung
von knappen ... Gütern«.
Mit Minderwertigkeiten ist hier nichts anderes
behauptet, als daß wir alle bestimmte Ideale und einen Perfektheitsanspruch
haben, denen wir in manchen Bereichen nicht entsprechen. Aus diesem Unzulänglichkeitsgefühl
heraus speisen sich auch individuelle Probleme wie Neid, Eifersucht, Rivalität,
und solche, die mit dem Schenken verbunden sein können, wie z. B. Probleme beim
Geben oder Annehmen; das Gefühl, immer zu kurz zu kommen oder ein besonderes
Geltungsstreben beim Schenken, das sich in besonders aufwendigen Geschenken
ausdrücken kann.
Für den Streßforscher Hans SELYE sind soziale
Handlungen vor allem auf Anerkennung durch andere ausgerichtet. Fokus
menschlicher Lebensführung sei das Problem des Dürstens nach mitmenschlicher
Anerkennung: "Sämtliche unserer Handlungen sind darauf angelegt – und
sollten es auch sein –, bei unseren Mitmenschen ›Guthaben der Dankbarkeit‹
zu kumulieren, damit dieser ständige Mangel an Anerkennung befriedigt, unsere
Existenz lebbar gestaltet werden kann." [17]
Dies hat Auswirkungen im Zusammenhang mit der 4.
und letzten These:
4. Da die meisten Geschenke nicht alltäglich,
sondern festtäglich rituell übergeben werden, muß die Bedeutung von
Ritualen und Festen genauer betrachtet werden.
Beiträge aus der Anthropologie zum Ritual gehen
davon aus, daß sich das Leben des einzelnen in allen Gesellschaften in Veränderungen
vollzieht, die sich als Etappen betrachten lassen. Deren Bewältigung
begleiten weltliche und religiöse Akte. Menschen wechseln beispielsweise ihren
Aufenthaltsort, ihre Alters- oder Berufsgruppenzugehörigkeit. Solche Raum-,
Zustands- und Zeitwechsel gefährdeten die soziale Ordnung der Gemeinschaft, die
zum Statischen tendiere – so Arnold van GENNEP. Die Dynamik des Lebens
erfordere aber ständige Grenzüberschreitungen, und mögliche Störungen würden
durch gesteuerte Veränderungsprozesse abgeschwächt. Die hierzu
verwendeten Riten, die solche Übergänge begleiten, gewährleisten und
kontrollieren, bezeichnet van GENNEP als "rites de passage", als Übergangsriten.
s. OH-Folie
"Übergangsriten nach van GENNEP"
Er unterscheidet die Riten des Lebenszyklus,
kalendarische Riten, biologische Riten und solche für
besondere Situationen.
Hinsichtlich des Schenkens ist auffällig, daß
dieses sehr häufig stattfindet in Verbindung mit solchen Übergangsriten. Schon
die Annäherung an Fremde erfolgt mit einer Gabe; Erklärung: um deren mögliche
Aggressivität zu hemmen.
Abschiedsriten beschreibt van GENNEP [18]
folgendermaßen »Besuche, ein letzter Gabentausch, ein gemeinsames Mahl, ein
letztes Getränk, Wünsche, Weggeleit, manchmal auch Opferhandlungen«
Wenn wir nun den Zusammenhang von Riten und
Festen näher betrachten, so betont der Soziologe Victor TURNER [19]
den menschlichen Wunsch, Grenzen zu überschreiten und einem zu eintönigen
Leben durch Abwechslung zu entfliehen. Dazu gestalten sich Menschen
"soziale Dramen" mit besonderen Höhepunkten.
Eines davon ist sicherlich das Fest als Negation
des Alltags und der Knappheit. Anthropologen wie Georges BATAILLE [20]
behaupten, daß das Feste feiern, der Müßiggang, das Spiel, doch auch Gewalt
und Krieg den Menschen einfach besser gefalle als die Arbeit. BATAILLE geht
davon aus, daß es einen kollektiven Energieüberschuß der Natur gebe,
dessen angeeignete Anteile der Mensch in destruktiver oder glorioser Form
verausgaben müsse. Andererseits erscheint das kollektive Verschwenden von
Ressourcen paradox angesichts der alltäglichen Not vieler, die um ihr Dasein zu
kämpfen haben und angesichts des Wissens, daß man selbst in eine Notlage
geraten kann.
Warum arbeitet der Mensch, um anderen schenken zu
können, denen dann ein Geschenk ohne eigene Arbeit zufällt? Wo er doch Müßiggang
und Spiel der Arbeit – so BATAILLE – vorzieht! Antwort TURNER: Das
Gegenteil, die Ausnahme kann eine Regel als Regel noch mehr unterstreichen als
die ständige Einhaltung der Regel.
Doch Knappheit, d. h. Mängel, Mißverhältnisse
und Defizite sind ein vielschichtiger, ambivalenter [21]
Grundtatbestand menschlicher Existenz, der sich nicht eliminieren läßt. Das
Fest stellt – wie gesagt – eine Negation des Alltags dar. Ist der Alltag mit
Arbeit, Mühsal und Knappheit assoziiert, möchte man – vielleicht nur einmal
im Leben – viele einladen und ihnen ein großes Fest geben können, einmal im
Mittelpunkt stehen, selbst wenn man sich dafür verschulden muß.
Dem zweckrationalen Handeln als
wirtschaftswissenschaftlichem Idealtypus stehen individuelle wie kollektive
Unzulänglichkeiten gegenüber, wie die Verdrängung von Realitäten, wie
Geltungssucht und Besitzstreben. Kurz: Wir wollen einfach nicht immer vernünftig
sein.
Neben der Knappheit materieller Art sowie der
sozialer Beziehungen, die gepflegt werden wollen, gibt es insbesondere das
Problem der Knappheit von Lebenszeit. Symbole wie das Lebenslicht auf dem
Geburtstagstisch weisen sinnfällig darauf hin. Die Tatsache, daß wir alle
eines Tages sterben müssen, diese zeitliche Begrenztheit individueller
Existenz, wirkt wie ein unsichtbares Band zwischen den Menschen und
Generationen. Die traditionelle Knappheitsbekämpfung der Menschheit führte
zu gesellschaftlichen Institutionen wie gegenseitige Hilfeleistung in Not,
Totenkult und Erbrecht. Zu diesem Bereich gehören sicher auch die Schenkungen
von Eltern zu ihren Lebzeiten an ihre Kinder, die Weitergabe von »Erbstücken«
der Älteren an Jüngere als »Andenken«, zumeist zu besonderen Anlässen wie
einer Konfirmation, dem Erreichen der Volljährigkeit oder zur Hochzeit.
Ein Fest geben zu können, Geschenke verteilen zu
können oder zu erhalten, ist Zeichen dafür, daß in der Gemeinschaft kein
akuter Mangel herrscht und darum Grund zur Freude. In der bewußten Negation
der Knappheit bis hin zur Verschuldung für ein Fest [22]
liegt m. E. ein meist unbewußtes Motiv für die Transferökonomie des Schenkens
und für das »Verbindende« gemeinsamer Feiern mit den dazugehörigen
Geschenken als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung.
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Zusammenfassung
Ich fasse noch einmal zusammen: Schenken ist
soziales Handeln par excellence, denn es ist auf andere gerichtet, kommt aber
zumeist beiden zugute, Beschenktem wie Schenkendem: Der Empfänger freut sich über
die mit dem Geschenk ausgedrückte persönliche Wertschätzung. Der Geber hofft,
daß er dem anderen eine Freude bereitet und mit seinen Geschenk Ehre einlegt.
Ist das Schenken geglückt, haben beide Anerkennung erfahren. Allerdings schenkt
man nicht jedem, sondern Personen aus dem Nahbereich: Verwandten, Freunden,
Kollegen, Nachbarn, Bekannten.
So braucht es Phantasie, Feinfühligkeit und
Wachsamkeit über das ganze Jahr, um die passenden, individuell gewählten
Geschenke zu finden, die der jeweiligen Beziehung entsprechen. Selten steht, wie
auch die empirische Schenkforschung bestätigt, dabei der materielle Wert des
Geschenks im Vordergrund. Denn die meisten Geschenke könnten sich Erwachsene,
sofern sie nicht arm sind, selbst leisten. Demnach handelt es sich beim Schenken
zwar rechnerisch um eigentlich "überflüssige Transaktionen". -
Jedoch, so gibt Gisela CLAUSEN [23]
zu bedenken: "In den modernen westlichen Gesellschaften kann ein großer
Teil der Menschen die benötigten und gewünschten Konsumgüter auf dem Markt
selber erwerben. Nicht auf dem Markt kaufen kann der einzelne Akteur jedoch die
soziale Wertschätzung, die ihm durch ein Geschenk übermittelt wird."
So mögen wir manchmal gehetzt und genervt sein,
mag uns das Schenken oftmals lästige rituelle Verpflichtung sein, doch auch
Gelegenheit, persönliche Beziehungen zu bedenken. Wenn wir uns dann zum
Schenken entschlossen haben, sollten wir uns Mühe geben, genau das Geschenk zu
finden, das den anderen beglücken könnte. Dann empfinden wir möglicherweise
die Kunst des Schenkens, die Joachim RINGELNATZ [24]
in einem Gedicht treffend in Verse gebracht hat:
Schenke groß oder klein,
aber immer gediegen
Wenn die Bedachten
die Gabe wiegen,
sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei,
was in dir wohnt an Meinung,
Geschmack und Humor,
so daß die eigene Freude zuvor
dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist, ohne List.
Sei eingedenk,
daß dein Geschenk
du selber bist.
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Anmerkungen:
Dieser Vortrag wurde gehalten in der Urania
Berlin am 18.11.1996
[1]
zit. nach Gerhard SCHMIED: Schenken. Über eine Form sozialen Handelns. -
Opladen 1996 , S. 183.
[2]
Marcel MAUSS: Die Gabe (1922/1923). - 2. Aufl. - Frankfurt/M. 1984.
[3]
Bernhard LAUM: Schenkende Wirtschaft. - Frankfurt/M. 1960.
[4]
insbesondere durch den Briten J. DAVIS, den US-Amerikaner Theodore CAPLOW und
den Kanadier David CHEAL.
[5]
CAPLOW: Christmas gifts and kin networks. In: ASR 47(1982), S.385; CHEAL: The
gift economy. - London 1988, S. 82.
[6]
zit. n. SCHMIED, a.a.O., 1996, S. 115.
[7]
Walter von KAMPTZ-BORKEN: Der gute Ton von heute. Vaduz 1954, S. 187f.
[8] KAMPTZ-BORKEN,
a.a.O., 1954, S. 188.
[9] Friedrich
ROST: Theorien des Schenkens. - Essen 1994.
[10] LAUM:
Schenkende Wirtschaft. - Frankfurt/M. 1960.
[11]
Gertrud OHEIM: Einmaleins des guten Tons. - 4. Aufl. - Gütersloh 1955.
[12]
Irenäus EIBL-EIBESFELDT: Liebe und Haß. Zur Naturgeschichte elementarer
Verhaltensweisen. München 1970, S. 16f.,
S. 268.
[13]
vgl. LAUM, a.a.O. 1960, S. 38.
[14] Claude
LÉVI-STRAUSS: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1949). - 2. Aufl.
- Frankfurt/M. 1984.
[15] Susan
ISAAC zit. n. LÉVI-STRAUSS, a.a.O., 1984, S. 149ff.
[16] Balint
BALLA:: Soziologie der Knappheit. Stuttgart
1970, S. 14.
[17] SELYE
zit. n. BALLA, a. a. O., 1978, S. 17f.
[18]
Arnold van GENNEP: Übergangsriten. - Frankfurt/M., New York 1986, S. 43.
[19]
Victor TURNER: Vom Ritual zum Theater. - Frankfurt/M; New York 1989.
[20] Georges
BATAILLE: Die Aufhebung der Ökonomie. Der verfemte Teil (1949). - o. O. o.J.
[21]
Ambivalent insofern, als Knappheit nicht nur negative Wirkungen, sondern auch
positive, förderliche Aspekte beinhalten kann.
[22]
vgl. z. B. MAUSS, a.a.O., 1984, S. 158.
[23] Gisela
CLAUSEN: Schenken und Unterstützen in Primärbeziehungen. - Frankfurt/M. u. a.
1991, S. 182.
[24]
Joachim RINGELNATZ [d.i. Hans BÖTTICHER]: Schenken. In: Ringelnatz in kleiner
Auswahl als Taschenbuch. - 14. Aufl. - Berlin 1975, S. 58.
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