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Schafft Wissenschaft Wissen?Trotz allen Streits gibt es wenigstens eine Gemeinsamkeit: Alle Wissenschaften geben an, Wissen schaffen zu wollen (und sprechen eben dieses z.T. anderen ab). Sie wollen Wissen schaffen, indem sie über Gegenstände (das sind Ereignisse, Gegebenheiten, Dinge, von denen die Rede ist) nachdenken und forschen und diese zu verstehen bzw. zu erklären suchen. Inwieweit dieses Wissen in theoretischer Verallgemeinerung, in der Aufklärung des Einzelfalls oder in konkreten Handlungsanleitungen besteht, auch da gibt es unterschiedliche Positionen. Gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Profession traditionsgemäß vor, so bedienen sie sich i.d.R. rationaler, methodischer Verfahren, um sich über ihre Konzepte und Modelle zu Theorien vorzuarbeiten, die Aussagen über eine wie immer geartete Wirklichkeit beinhalten.7 Ausgangspunkt aller Wissenschaften sind Fragen bzw. Probleme, auf die erst durch Forschung, Nachdenken oder Eingebung eine Antwort oder Lösung gefunden werden muß. Idealiter darf die Antwort oder Lösung nicht schon irgendwo, z.B. in den Bibliotheken, existieren, sondern – ähnlich wie beim Patent – soll eine entscheidende, in dieser Form noch nicht vorhandene schöpferische Leistung erbracht werden. Bleiben wir noch ein wenig bei den Wissenschaften und dem, was sie tatsächlich produzieren oder vorgeben zu produzieren: dem Wissen8. Für das Wissen spielt es erst einmal keine Rolle, ob es anderen mitgeteilt wird und ob es dadurch zu einer Nachricht wird. Man kann Wissen auch geheim halten. Wissen muß auch nicht mit einer Handlung oder einer Handlungsänderung verbunden sein. Für das Wissen an sich spielt es auch keine Rolle, ob es, wenn es verbreitet und damit zu einer Nachricht wird, eine Zustandsänderung bei einem oder mehreren Empfängern auslöst und damit für diese zu einer mehr oder weniger wichtigen Information wird.9 Für wissenschaftliches Wissen trifft der erste Teil meines eben gesprochenen Satzes allerdings nicht zu. Dazu ein Zitat von Schriewer und Keiner: "Erst durch die Publikation wird eine Beobachtung, eine Entdeckung, ein Forschungsergebnis in den Kommunikationsprozeß der Wissenschaft eingeführt. Erst durch die Publikation wird mithin eine gegenstandsbezogene Erkenntnis zur disziplinförmig diskutierbaren Erkenntnis."10 Wissenschaften schaffen erst einmal kein Wissen, sondern Publikationen. Schriftlichkeit und FachspracheWissenschaften sind in ihrer Kommunikation insbesondere auf Sprache angewiesen und immer noch stark an die schriftliche Form gebunden. Wenn Schriftlichkeit und Fachsprache zwei wesentliche Faktoren sind, durch die eine Erkenntnis erst wissenschaftlich diskutierbar wird, dann müssen beide näher betrachtet werden. Die Vorteile von Gedrucktem liegen vor allem darin begründet, daß die schriftliche Information immer wieder nachgelesen werden kann, wenn das Dokument sorgsam aufbewahrt wird. Die Auseinandersetzung mit dem Geschriebenen ist zeit- und ortsunabhängig möglich und erfordert keine technischen Hilfsmittel, abgesehen von der Brille. Bei der Lektüre kann man vor- und zurückspringen, überblättern, wiederholt lesen, sich mit dem Werk mehr oder minder lange auseinandersetzen, Quellen prüfen, anderweitig nachlesen usw. Halten wir erst einmal fest: Schriftlichkeit hat gegenüber der Rede den Vorteil der textuellen Festlegung. Allerdings besteht gleichermaßen Interpretationsbedarf wie bei der mündlichen Rede. Mißverstehen ist im Gespräch allerdings schneller zu erkennen und auszuräumen als bei der Textinterpretation. Betrachten wir nun die Sprache: Für unseren Wirklichkeitsausschnitt, nämlich Gegenstände und Prozesse von Erziehung, Bildung, Unterricht und Sozialisation, gibt es höchst unterschiedliche Sprachen und Sprachebenen: Es lassen sich nicht nur Umgangs-, Berufs- und Wissenschaftssprache unterscheiden. Die Sprachwissenschaft spricht noch von Werkstattsprache und Bildungssprache11 und Dokumentare von Dokumentationssprachen. Wenn all diese Differenzierungen ihren Sinn haben sollen, dann muß es dafür funktionale Gründe geben, solche Unterscheidungen zu machen, denn Sprache prägt bekanntlich auch die Denk- und Wissensmuster. Wissenschaften bedienen sich erst einmal der Sprache, um ihre Fragen zu stellen und die zur Lösung anstehenden Probleme zu beschreiben. Die Situation von Wissenschaftlern bei diesen vorwiegend hermeneutischen Prozessen des Verstehens und Erklärens ähnelt oft derjenigen eines Fremdsprachenschülers beim Übersetzen. Einiges glaubt er zu verstehen, aber vieles und meist das, worauf es ankommt, versteht er nicht. Aber so geht es nicht nur dem Laien bei der Lektüre wissenschaftlicher Texte: Auch innerhalb der Ingroup eines Wissenschaftsbereichs ist Mißverstehen keine Ausnahmeerscheinung. Insofern wären eigentlich immer Gespräche12 oder Briefwechsel mit Rückkoppelungsprozessen erforderlich, um mögliche Mißinterpretationen zu minimieren. Aber auch hinsichtlich der Fach- und Wissenschaftssprachen der Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es irrige Annahmen, so die Vorstellung, daß Fachsprache, insbesondere Wissenschaftssprache präziser und eindeutiger sei als z. B. die Bildungssprache. Davon kann zumindest in einer Wissenschaft wie der Pädagogik keine Rede sein, die aus ihrer geisteswissenschaftlichen Tradition heraus, Alltagswörter wie Erziehung, Bildung, Schule, Unterricht in ihren Fachsprachschatz aufnahm, aber weiterhin mit diesen hermeneutisch operiert, also kontextorientiert einmal so und dann in einem anderen Zusammenhang wieder anders. Dieses Sich-nicht-Festlegen auf Nominaldefinitionen hat auch Vorteile: Man läßt sich ein auf eine Fülle verschiedener Wirklichkeiten und überwindet gerade dadurch einerseits Dogmatismus und normative Ideale wie andererseits den "engen Gesichtskreis des eigenen Glaubens, der eigenen Partei [...], der eigenen Zeit".13 Mit der Pluralisierung der Konzepte und Methoden, die – das darf man nicht vergessen – auch neues Wissen über sozialwissenschaftliche Sachverhalte erbrachten, kam es in der Erziehungswissenschaft zu einer rasant zunehmenden babylonischen Sprachverwirrung. Die besonders zahlreich erschienenen pädagogischen Lexika und Spezialwörterbücher der 60er und 70er Jahre14 versprachen ihren Abnehmern ebenso die Beseitigung von Unklarheit wie die Versuche des DOPAED, durch die Schaffung einheitlicher Erschließungsinstrumente15 der Publikationsflut im Gefolge der Bildungsreform Herr zu werden. Der Wunsch nach einer einheitlichen Terminologie sei jedoch gescheitert, so die Einschätzung von Eckhard König: "Die Wissenschaftsentwicklung der empirischen Sozialwissenschaften hat deutlich gemacht [...] Zum einen lassen sich wichtige Begriffe nicht eindeutig operationalisieren bzw. [...] die Operationalisierung [verändert] die ursprüngliche Bedeutung".16 Terhart geht davon aus, daß es "keine drei scharf voneinander getrennte Sprachebenen oder -schichten" der Umgangs-, der Berufs- und Wissenschaftssprache gibt, "sondern eine breit aufgefächerte Skala verschiedener Formen des Redens über Erziehung."17 Hinsichtlich der wechselseitigen Durchdringung und Beeinflussung dieser unterschiedlichen Sprachen "verdient die Bildungssprache, die Sprache des lesenden Publikums, besondere Beachtung",18 weil es vornehmlich die Gebildeten sind, die sich für Erziehung und ihre Probleme interessieren. Die Gebildeten sind auch in der Lage, in unterschiedlichen Formen über Erziehung zu sprechen und vor allem zu schreiben, sowie mit anderen so zu kommunizieren, daß sie deren Auffassung weitgehend verstehen und ihre eigene verständlich vertreten können. Hierzu ist auch ein "Umschalten-Können" zwischen den einzelnen Sprachebenen und -stilen erforderlich. Medium hierbei ist die Bildungssprache, die genügend elaboriert ist, um sich über die Inhalte verständigen zu können.19 M. E. sollte einmal über diesen Gedankengang diskutiert werden, weil die Bildungssprache einerseits den Nutzern und andererseits den Wissenschaftlern verständlich sein müßte. Sozial- und geisteswissenschaftliche Fachsprachen sind nicht präzise und eindeutig. Deshalb können es die dazugehörigen Dokumentionssprachen auch nicht sein. Die verwendeten Begriffe sind nicht eindeutig operationalisierbar. Gibt es einen Ausweg über die Bildungssprache? Was ist mit dem Versprechen der Wissenschaften, verläßliches Wissen zu schaffen?Nachdem ich nun die Erziehungswissenschaften und ihre Spezialsprachen grob skizziert habe, muß ich noch einmal auf das Versprechen der Wissenschaften zurückkommen, nämlich verläßliches Wissen schaffen zu wollen. Wie auch immer wissenschaftliches Wissen zustande gekommen ist, es bleibt – so Popper – "Vermutungswissen"; d.h., es gibt keine letzte Gewißheit, ob die Antwort oder Problemlösung die richtige ist. Erst die Zukunft wird erweisen, ob sich eine Theorie in der Praxis immer wieder bewährt. Dazu muß diese Theorie so formuliert sein, daß die Hypothesen formal und material bestimmten Bedingungen genügen.20 Letztendlich muß es sich um Aussagen handeln, die falsifizierbar sind.21 Besteht eine Theorie die Bewährungsprobe nicht, muß sie verbessert oder fallengelassen werden. Doch wie vollzieht sich diese Prüfung des Wissens eigentlich? Siegfried J. Schmidt gibt folgende Antwort: "Die Prüfung dessen, was uns z.B. als Wissen bewußt wird, erfolgt nicht etwa durch Vergleich mit ‚der Realität‘, sondern wird durch Handeln und Kommunizieren erreicht. Wissen wird also geprüft durch Bezug auf Wissen, das aus Handeln und Kommunikation hervorgeht. Akzeptiert wird dann, was viabel, was gangbar und erfolgreich ist, und nicht etwa, was (ontologisch) wahr ist. M.a.W., Wirklichkeitskonstrukte werden durch andere Wirklichkeitskonstrukte validiert."22 Wissenschaften können aus erkenntnistheoretischen Gründen also nicht die von vielen so erwartete Sicherheit und ganzheitliche Weltsicht stiften, aber es ist mir bei allen Ärgerlichkeiten lieber, mich mit rationalen Argumenten und punktuellen Untersuchungen auseinanderzusetzen als etwa mit antiwissenschaftlichen Heilsversprechen oder einfachen Rezepten. Und Wissenschaftsskeptiker seien getröstet: Trotz aller Theorie entscheidet wie gesagt letztlich die Praxis, was sich durchsetzt. Allerdings gibt es auch schlechte Praxis. Um aber auf die Ausgangsfrage dieses Abschnitts eine Antwort zu geben: Natürlich schafft Wissenschaft auch manchmal Erkenntniszuwachs, doch der Wissenszuwachs ist weitaus geringer als der Nachrichtenzuwachs. Gängige Wissenschaftspraxis ist, wie ich vorhin mit dem Zitat von Schriewer und Keiner belegte, die Publikation als Medium des wissenschaftlichen Diskurses. Publish or perish, lautet die amerikanische Devise der Wissenschaften, der sich auch die anderen Wissenschaftskulturen nicht mehr entziehen können. Der Zuwachs an Fachbeiträgen ist in jedem einzelnen Spezialgebiet weltweit so groß, daß kein Mensch in seinem Interessenhorizont alles zur Kenntnis nehmen kann, was erscheint. Der Publikationszwang hat eine solche Flut an Veröffentlichungen zur Folge, daß es angesichts der Fülle an Nachrichten und Elaboraten schwer ist, selbst das Wichtigste auf "Herz und Nieren" zu prüfen. "Current Awareness" – und dies weltweit im eigenen Spezialgebiet – ist nicht mehr möglich. Selbst aufbereitete Profilinformation ist meist schon zu umfangreich, um im Berufsalltag bewältigt zu werden. Die große Menge an Meldungen und Nachrichten führt bei vielen Wissenschaftlern zu einer Abwehrhaltung: Bitte keine weiteren Informationen! Wissenschaft kann nur "Vermutungswissen" schaffen. Wissen wird geprüft durch Bezug auf Wissen, das aus Handeln und Kommunikation hervorgeht und: Der Bescheidenheit beim Wissenszuwachs steht eine Flut an Publikationen gegenüber. Angesichts der globalen Nachrichtenschwemme ist es zu einem Strukturwandel gekommen: Es wird nur noch am Rande bemerkt, was andere so treiben. Und: Es kann kaum noch breit auf Vorrat gelesen und gelernt werden, sondern nur noch konzentriert auf die je eigenen, gerade anstehenden Frage- und Problemstellungen. Dazu ist es erforderlich, vor und während eines eigenen Forschungsvorhabens immer wieder sehr genau zu recherchieren, denn täglich kommen neue Nachrichten, in denen wichtige Informationen verborgen sein könnten. Hinsichtlich der Nachrichtenanbindung könnten gute Fachinformationssysteme mit Dokument-Lieferservice eine große Hilfe sein, doch die Schnelligkeit des Geschäfts und die Flut an Dokumenten läßt kaum noch eine seriöse dokumentarische Arbeit zu. Hinzu kommt die Kostenfrage: Nur wenige Institutionen und Personen sind bereit und in der Lage, kostenintensive Online-Datenbanken abfragen zu lassen oder gar Informationsvermittler einzubeziehen, die das gefundene Material einzuschätzen wissen und übersichtlich aufbereiten. So bleibt vielen, insbesondere den schlechter ausgestatteten Disziplinen, Fachbereichen, Wissenschaftler(-innen) nur die Information aus den immer schlechter ausgestatteten Bibliotheken oder dem Internet, welches sie – oft noch dilettantisch – mit Suchmaschinen abgrasen und meinen, das reiche für eine sorgfältige Recherche. Zumindest für die Erziehungswissenschaft ist m. E. festzustellen, daß beim wissenschaftlichen Nachwuchs und selbst bei Hochschullehrern an Orientierungswissen fehlt, die Recherchepraxis ungenügend und die dazu notwendigen Kenntnisse oft rudimentär sind. Hier sind zum einen neue studienpropädeutische Ansätze in bezug auf Informationssuche und Ergebnisbewertung erforderlich; zum anderen müssen Gutachter oder Kritiker diese, in manchen Publikationen sichtbaren Probleme endlich einmal thematisieren, z. B. in Rezensionen. Nachrichtenschwemme und hochgradige Spezialisierung führen zu einem Strukturwandel bei Bildung und Wissenschaft: Es ist eine Konzentration auf die je eigene Frage- und Problemstellung ist beim forschenden Lernen erforderlich – mit allen Risiken, Wichtiges nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wenngleich Qualität im Einzelfall höchst unterschiedlich bewertet wird: Was unterscheidet eigentlich gute Forschung von schlechter? Wichtige Faktoren, die zur Qualität beitragen, sind neben einer relevanten Fragestellung, den dem Gegenstand angemessenen Methoden, neben profunder Recherche, Gründlichkeit und Genauigkeit, geistig verarbeitender und kritischer Lektüre, neben Anregungen durch Diskussionen sowie den Inspirationen zu neuen Antworten und Problemlösungen auch Transparenz des Arbeitsgangs und – Ehrlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit des "Holzweges", des Irrtums in der Wissenschaft, ist sehr groß und die Bereitschaft, Irrtümer einzugestehen, bleibt gering. Der Publikationszwang treibt auch zur Veröffentlichung von Irrelevantem oder gar Falschem. So weiß "jeder Dokumentar [...], daß die Veröffentlichungen, die gestern, heute und morgen erschienen sind und erscheinen, sich aus 5% wirklichen Neuigkeiten, 15% Darstellungen des bereits bekannten Standes des Wissens und 80% ,alten Hüten‘ zusammensetzen. Wir haben es also in der Information und Dokumentation mit einem Mengenproblem und einem Qualitätsproblem zu tun, und zwar mit einem Qualitätsproblem der Veröffentlichungen, die wir übernehmen und die wir nicht beeinflussen können."23 Da die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst aufgrund der Publikationsflut nicht mehr in der Lage sind, die in der eigenen Profession entstandenen Arbeiten hinreichend zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, besteht ein zweifaches Quantitäts- und Qualitätsproblem. Die geschwächte interne wissenschaftliche Kontrolle schadet erst einmal der eigenen Profession und dem Ansehen der Wissenschaften insgesamt.24 Wie eingangs schon gesagt: Wenn man nur lange genug sucht, findet man für die abstruseste Behauptung den dazu passenden "wissenschaftlichen" Beleg. Die Gefahr des Irrtums in den Wissenschaften ist sehr groß und die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, dagegen gering. Der Publikationszwang treibt geradezu auch zur Veröffentlichung von Irrelevantem oder gar Falschem. Darauf muß wissenschaftliche Dokumentation reagieren. Mit dem Abbau von Stellen im BID-Bereich fehlt dann ein weiteres Korrektiv, das der wissenschaftlichen Dokumentation. Dies müssen wir den verantwortlichen Zuwendungsgebern deutlich machen. Wissenschaftliche Dokumentation und Information muß nicht nur eine Antwort auf die Fülle finden, sondern auch auf die Frage der Qualität geben: Sie muß aus der Informationsflut Dokumente und Fakten kritisch abwägen und auswählen,25 formal und inhaltlich erschließen und zusammenfassen, ggf. kritisch annotieren, Dubletten und Redundanzen vermeiden, Desinformationen klarstellen, Grundlageninformationen verdichten und regelmäßig aktualisieren, Dokumente archivieren, ja im internationalen Kontext sogar für sachgerechte Abstracts in international wichtigen Sprachen sorgen. Wissenschaftliche Dokumentation könnte ein Korrektiv sein, indem sie die eben genannten Aufgaben erfüllt. Allerdings hat Dokumentation eher das Ziel der Vollständigkeit verfolgt als das der kritischen Auswahl, auch um dem Vorwurf einer Zensur26 zu entgehen. Fachdokumentation und das Problem der inhaltlichen ErschließungWenn nun die Einheit der Wissenschaften verloren ist, es die Einheit der Fachsprachen in den einzelnen sozialwissenschaftlichen Disziplinen offenbar niemals gegeben hat, es darüber hinaus Berufssprachen der Lehrer und Erzieher gibt, dann lassen sich die Fragen stellen, 1., ob es sinnvoll, ja überhaupt nötig oder möglich ist, in der nachgängigen Dokumentation z. B. von Aufsätzen über Erziehung, Erschließungsinstrumente zu entwickeln, die ebenfalls sprachabhängig sind, und wenn ja, 2., wie eine solche Dokumentationssprache aussehen könnte. Meine Antwort auf die 1. Frage lautet: Ja, inhaltliche Erschließung ist notwendig und m. E. auch über Metadaten hinaus. Zudem bleiben auch andere Erschließungsinstrumente27 sprachabhängig, da sie immer auf Sprache rekurrieren und Thesauri für Nutzer einfacher handhabbar sind als abstrakte Klassifikationen. Insofern stehe ich auch nach stärkerer Einarbeitung in die erziehungswissenschaftliche Fachsprachenproblematik28 weiterhin zu einem Konzept der inhaltlichen Erschließung durch professionelle Dokumentare und nicht durch die Wissenschaftler selbst.29 Denn mit dem Wachsen einer Informationssammlung – so meine Begründung – stellen sich gerade bei der Vielfalt der sprachlichen Benennungen für ein und denselben Begriff besondere Anforderungen an den Ordnungsgrad der Dokumentation.30 Dabei muß klar gesagt werden, daß es kein System für alle Zeiten geben kann, sondern daß eine wie auch immer geartete Erschließung immer nachgängig erfolgt und auch zeitgebunden bleibt. Die Konsistenz eines Speichers, eines Ordnungssystems wird immer wieder überarbeitet werden müssen, wobei Begriffsthesauri durch Themenkomponenten (wie beispielsweise theoretischer Bezugsrahmen, Problemkontext, Faktenbereich etc.) angereichert werden sollten.31 Wie das Erschließungsinstrumentarium aussehen könnte, dazu habe ich ja selbst auch schon Vorschläge unterbreitet,32 allerdings bin ich noch zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen, denn all die Varianten haben Vor- und Nachteile und müssen hinsichtlich ihrer Praktikabilität und der Kosten auf der dokumentarischen Seite und hinsichtlich ihres Nutzens auf der Kundenseite erprobt und evaluiert werden.33 Die GIB hat ja schon des öfteren die Problematik der inhaltlichen Erschließung diskutiert, aber bisher, vorwiegend aus Zeitmangel, keine Basis gefunden zu einer intensivierten Kooperation. Ich erinnere hier nur noch einmal daran, daß die Masse der Dokumente und die Explosion der Benennungen die Qualität der "CD Bildung" zunehmend beeinträchtigen wird.34 Wir kommen um eine Thesaurus-Revision nicht herum, wenn wir nicht die Qualität der bisher geleisteten Arbeit gefährden und weitere IuD-Stellen wegrationalisieren wollen. Ich bin davon überzeugt, daß das von Jürgen Krause vorgeschlagene Schalenmodell der gestuften inhaltlichen Erschließung und der polyzentrischen Literaturversorgung auch eines für die Kooperation bei FIS Bildung sein kann.35 Inhaltliche Erschließung und Thesaurusrevision tun not. Krauses Vorschlag der gestuften inhaltlichen Erschließung und der polyzentrischen Literaturversorgung kann m.E. ein Modell für FIS Bildung sein. Fachinformation versus Wildwuchs im InternetWir leben in einer arbeitsteilig organisierten Weltgesellschaft, in der die meisten unserer Erfahrungen keine eigenen, sondern Erfahrungen aus zweiter Hand, also übermittelte Erfahrungen sind. Mächtige Informations- und Kommunikationsnetze machen es möglich, aus fast jedem Winkel der Welt Nachrichten zu erhalten. Kommt es bei der Nachricht in der Regel erst einmal auf ihre Richtigkeit an, so spielt, soll die Nachricht zu einer Information werden, die Schnelligkeit, also der Zeitfaktor, eine immer größere Rolle. Und das nicht nur bei der Erstellung und Übermittlung der Nachrichten, sondern auch bei deren Überprüfung, für die man, in der Hektik des Geschäfts, oft nur noch ein Kriterium kennt: das mehr oder minder große Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Quelle und die der Botschaft: Denn wer hat denn noch die Zeit, selbst den Dingen auf den Grund zu gehen? So ist die Nachricht m.E. durchaus glaubhaft, daß seit der Einführung der elektronischen Börsen kleine Aktiengesellschaften durch gezielte Falschinformationen oder Indiskretionen in heftige spekulative Turbulenzen gebracht werden können, und das in Sekunden und zwar durch automatische Aktien-Kauf- und -Verkaufsprogramme. Hier spielt zutreffendes Wissen, seriöse Information keine Rolle. Denn wer zu spät verkauft, ist ein "Looser". Und da wir alle nicht gerne Verlierer sind, geht es nur noch darum, Gewinner zu sein, Verluste zu vermeiden und möglichst große Profite in möglichst kurzer Zeit zu machen, egal, wer die Zeche zu zahlen hat.36 Derjenige, der zutreffendere Nachrichten hat oder ein gesicherteres, ja besseres Wissen, gehört somit nicht immer zu den Gewinnern. Entscheidender kann z.B. ein Zeitvorsprung, eine geschickte Strategie, eine marktbeherrschende Stellung, kann Macht sein oder auch nur (Irr-)Glaube. Wir sind auf Erfahrungen aus zweiter Hand angewiesen. Zur Überprüfung von Nachrichten auf ihre Richtigkeit fehlt oft die Zeit und/oder der Sachverstand. Wenngleich ich im Kern den Satz "Wir dürsten nach Wissen, aber ertrinken in Informationen" immer noch für zutreffend halte, so kann er seine Richtigkeit einbüßen: Wenn wir nämlich ertrunken sind, egal ob in richtigen oder falschen Nachrichten. Zuviel Wissen und zu hohe Komplexität können den Blick verstellen, die Reflektion orientierungslos werden lassen und das Handeln lähmen. Soll aber vernunftgemäß entschieden und gehandelt werden, muß auch wildes Agieren aufgrund von Entscheidungen aus dem Bauch oder aus Vorurteilen heraus unterbleiben. Hierbei sind immer wieder Offenheit, erneuertes Wissen sowie Erfahrung in der kritischen Beurteilung von Nachrichten erforderlich. Dazu gehört auch – im Rahmen der Arbeitsteilung –, sich auf Experten zu verlassen, die das Nachrichten-, das Dokumentations- wie Fachinformationsgeschäft professionell ausüben. Information literacy wird zwar mittlerweile von jedem einzelnen Bürger gefordert, aber die meisten dürften damit überfordert sein, zu entscheiden, welchen Quellen sie vertrauen können. Wenn wir noch einmal auf die Wirtschaftsinformation Bezug nehmen, so kann man auch feststellen, daß einige Informationssysteme, so z. B. REUTERS einen ausgezeichneten Ruf genießen, der schnell vorbei wäre, wenn mehrfach schlimmere Pannen unterliefen.37 Aber solch ein Ruf ist auch nicht von Anbeginn da, sondern muß erarbeitet werden. So wie die SPIEGEL-Dokumentare lange Zeit den Ruhm des Magazins sicherten, so sollten die GIB, FIS Bildung sowie die Zulieferer zur CD weiterhin keine Anstrengungen scheuen, die Infrastruktur und Qualität der Fachinformation zu verbessern. Deshalb lautet mein abschließendes Fazit Da Information literacy des Bürgers nicht ausreicht, brauchen wir verläßliche Fachinformationssysteme und Profis der wissenschaftlichen Dokumentation und Information anstelle von Zufallsergebnissen aus dem Internet! Literatur:Alisch, Lutz-Michael: Grundlagenanalyse der Pädagogik als strenge praktische Wissenschaft. – Berlin: Duncker & Humblot 1995. Baumert, Jürgen/Roeder, Peter Martin: Expansion und Wandel der Pädagogik. Zur Institutionalisierung einer Referenzdisziplin. 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